Wen fragen, wen nicht?
Autoren haben viele Fragen und wenig Zeit für die Antwortsuche. Ohne intensive Recherche gibt es aber keine gute Geschichte. Da liegt es nahe, jemanden zu suchen, der alle Fragen beantworten kann. Doch wem lohnt es sich, Glauben zu schenken?
Letztens saß ich an einem Artikel über die Muskulatur beim Sporthund. Als Ernährungswissenschaftlerin nicht meine Kernkompetenz, ein Experte musste her. Diesmal entschied ich mich für eine neue Vorgehensweise: nicht die Suchmaschine befragen, sondern die Kontakte in den sozialen Netzwerken um Hilfe bitten: Tierarzt oder Hunde-Physiotherapeut gesucht – kennt jemand jemanden, der jemanden kennt? Die Resonanz war gut, auf meine Freunde und Kollegen war Verlass. Mal sehen…
Empfehlungen doppelchecken
Vorgeschlagen wurde mir der Hundetrainer mit zahlreichen Qualifikationen rund um das Wesen von und den Umgang mit Hunden, da war der Journalist und Betreiber eines Internetportals für Hundefreunde und ein Bekannter, der als Zahnmediziner arbeitet und privat Hunde hält. Überzeugt war ich nicht, stellte ich mir eine Passage wie diese im Artikel vor: „Die Steilwand beansprucht insbesondere den lumbosakralen Übergang zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein“, sagt Max Mustermann, Zahnarzt. Journalist. Hundetrainer. Macht solch ein Experte meinen Artikel glaubwürdig? Ganz bestimmt war jeder ein Meister seines Fachs und hatte auch mit Hunden zu tun, aber Fachwissen und praktische Erfahrungen zur Anatomie und Physiologie von Hunden waren nicht zu erwarten. Bis plötzlich noch ein Tipp eintrudelte: eine ehemalige Bankkauffrau, die sich beruflich neu als Hunde-Physiotherapeutin orientiert hat, nun mit Dienst- und Sporthunden arbeitet und mit ihren eigenen Hunden Zughundesport betreibt. Volltreffer!
Bekannte genießen Vertrauen
Ich finde diese Geschichte irre interessant. Ich bin überzeugt, dass jeder meiner Kontakte seinen Favoriten besten Wissens und Gewissens vorgeschlagen hat – obwohl sich für das eigentliche Thema keiner eignete. Woran liegt das? Wann werden Menschen als kompetent wahrgenommen und weiterempfohlen? Studien zeigen, dass Menschen der Meinung von Freunden, Familienangehörigen oder einer prominenten Persönlichkeit besonders viel Glauben schenken. Doch was macht umgekehrt einen Experten aus? Fakt ist, dass es keine Kriterien gibt, um die Expertise einer Person einschätzen zu können. Studien zeigen, dass sich auch Journalisten mit der Auswahl schwertun. Eine Analyse von Lehmkuhl und Leidecker-Sandmann deutet darauf hin, dass insbesondere Journalisten außerhalb der Wissenschaftsressorts Probleme haben, wissenschaftliche Experten zu recherchieren und zu finden.
Wissenschaft braucht Forschung
Egal, ob es bei mir um Lebensmittelrecht, Hundedoping oder Sojaanbau geht: Mir ist ein fachlicher Hintergrund meiner Interviewpartner wichtig, also ein Studium oder eine Ausbildung in dem Bereich. Denn ebenso wenig, wie ich meine Friseurin nach ihrer Einschätzung zu meiner Steuererklärung frage, ist die Meinung meines Rechtsanwalts zu Diät-Tipps relevant. Damit scheiden auch Influencer als Experten aus, es sei denn, es geht um Internet-Marketing. Also befrage ich zu Gesundheitsthemen eher einen Arzt, zu Rechtsthemen einen Rechtsanwalt oder zu Umweltthemen einen Ökologen. Manchmal sogar nicht nur einen, sondern zwei – nämlich immer dann, wenn es kontroverse Themen sind. Dann tun einem Artikel mehrere Standpunkte gut, die einen Aspekt von verschiedenen Seiten beleuchten. Je wissenschaftlicher das Thema ist, umso wichtiger ist mir, dass sie auch zu den Themen forschen, zu denen sie sich äußern. Bei anderen Themen kann manchmal der unbekannte Fachmann aus dem kleinen Betrieb von nebenan mit Nähe zu Kunden oder Patienten viel interessanter sein.
Suchen und finden
Und wo findet man den passenden Experten? Gute Frage! Da hilft nur, zu recherchieren, nachzulesen, herumfragen. Für wissenschaftliche Themen gibt es mittlerweile einige Hilfsmittel, wie die Expertenlisten des Informationsdienstes Wissenschaft e. V. oder die Suchmaschine http://webapp.expertexplorer.de. Für viele andere Bereiche muss der Journalist weiterhin selbst aktiv werden. Ja, die Suche nach Experten kann mühsam sein. Aber Medien und ihre Quellen haben einen erheblichen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Da sollte man anspruchsvoll sein.
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