Storytelling und unsere Gehirne: eine Liebesgeschichte
Storytelling und menschliche Gehirne haben eine Menge gemeinsam. Beide bestehen aus Vernetzungen, die aus der Flut an Informationen Sinn herstellen. Darum darf Storytelling in keinem Text fehlen.
Geschichten und Evolution
Evolutionsbiologisch haben Geschichten nicht die Aufgabe, dass wir uns vor Netflix hocken und für ein paar Stunden abschalten. Ausgedachte Szenarien hatten den Zweck, uns für den Ernstfall vorzubereiten. Als Jäger und Sammler setzten wir uns abends rund ums Lagerfeuer und erzählten Geschichten. Dieser Zusammenhalt in der Gruppe sicherte unser Überleben.
Nicht nur erfundene Lagerfeuergeschichten schweißten uns zusammen, sondern auch Plauderei. Klatsch und Tratsch. Gossip Girl 10.000 BC. Der britische Anthropologe Robin Dunbar stellt in seinem Buch Grooming, Gossip and the Evolution of Language die These auf, dass Tratsch den Zusammenhalt förderte und so Sprache entstanden ist.
Muster und Säbelzahntiger
Gehirne mögen Mustervorlagen, um Information besser zu speichern. Es stellt Kausalzusammenhänge her und füllt mögliche Lücken. Das ist der Grund, warum es sich manchmal täuschen lässt. Wir alle kennen Steckdosen, die wie Gesichter aussehen. Vor 10.000 Jahren hat uns dieser Trugschluss das Leben gerettet. Es waren keine gruseligen Steckdosen, sondern kuschelige Säbelzahntiger, vor denen wir davonliefen.
Gedächtnissportler erfinden Geschichten, um sich elend lange Zahlenkombinationen zu merken. Sie verknüpfen diese nichtssagenden Ziffern mit Bildern in einer für sie bekannten Umgebung: dem Gedächtnispalast. Darin – zum Beispiel im eigenen Haus – gehen sie eine festgelegte Route ab und erzählen so eine Geschichte in ihren Köpfen.
Präzise Beschreibungen kitzeln unsere Hirnregionen
Regionen im Gehirn, die unsere Sinneswahrnehmung ansprechen, reagieren auf präzise beschriebene Wörter besser, als auf vage Begriffe. Wir erleben die Beschreibungen, als würden wir sie hören, schmecken, riechen, fühlen oder sehen.
Lesen wir das Wort Kaffee, aktiviert das die Sprachregion und den Bereich, der für das Riechen zuständig ist. Die samtweiche Stimme eines Sängers kitzelt unsere Hirnregionen mehr, als die gute Stimme.
Warum Storytelling wirkt
Der Unterschied zwischen Realität und Fiktion spielt keine Rolle.
Das ist kein philosophischer Quatsch, sondern das Motto unter unserer Schädeldecke. Das menschliche Gehirn macht keinen Unterschied zwischen einer erfundenen und einer wahren Geschichte. Bei einem Horrorfilm wie Halloween fühlen wir mit Jamie Lee Curtis mit. Der Puls rast, das mulmige Gefühl im Magen: Alles in einer sicheren Wohnung auf der Couch mit einer Schüssel voll Popcorn.
Unsere Gehirne sind keine Computer. Sie sind dazu gemacht, Geschichten zu verstehen, nicht Logik, nackte Fakten oder Zahlen. Storytelling wirkt. Wir können gar nicht anders.
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