Das Ungleichgewicht im ersten Entwurf
Was macht einen Text dröge und lahm? Wenn er Schlagseite hat wie ein falsch beladenes Schiff.
Manchmal ist es der Roman, in dem die Figuren in ständiger Reflexion verharren und seitenweise Monologe oder Informationen auf den Leser gekippt werden. Oder es ist die Geschichte, in der alle ständig rennen, tun, machen, unterwegs sind, ohne auch nur mal einen Moment innezuhalten und darüber nachzudenken, was vor sich geht. Eine gute Geschichte sollte ein gesundes Gleichgewicht von beidem haben.
Auch Fachtexte haben mitunter Schlagseite. Wenn es nur um Dinge geht und nie um Menschen. Wenn es nur um schlechte Nachrichten geht und nie um gute Botschaften. Wenn zu viele Substantive den Raum verstellen, wo eigentlich so viel passieren könnte.
Der beste Weg, um zu erkennen, ob ein Text aus dem Gleichgewicht geraten ist, besteht darin, farbig zu markieren. Zum Beispiel alle Substantive blau, alle Verben grün und alle Adjektive rot. Oder alle Beschreibungen und Informationen in einer und alle Aktionen in einer anderen Farbe. Oder alle positiven Botschaften grün und alle negativen Formulierungen rot.
Wird es eine schöne bunte Collage? Oder wellt sich das Papier in einem einzigen Block aus blauer Farbe? Das Ergebnis zeigt sofort, wo die Ungleichgewichte liegen.
Der Anspruch kann allerdings nicht sein, von allem gleich viel zu haben. Verben sind meistens besser als Substantive. Eine Gebrauchsanleitung kommt auch gut ohne Emotionen aus. Die Frage lautet wie so oft: Was soll der Text bei den Leser:innen auslösen?
Nochmal zurück zum falsch aus balancierten Schiff: Ein Schnellboot beläd man anders als einen Ausflugsdampfer als ein Kreuzfahrtschiff als ein Frachtschiff. Je nach Typ ist die Ladung eher hinten, mittig oder vorne, aber nie an der Seite. Balance ist das Stichwort.
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