Warum nicht jeder Schreibtipp für dich passt
136 Schreibtipps sind hier bereits veröffentlicht worden und spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass nicht alle gleichwertig zu jeder Schreibsituation passen. Schlimmer noch: Manchmal passen sie zur Situation und trotzdem sperrt sich irgendetwas dagegen, den Tipp anzuwenden.
Und das ist völlig okay, denn es sind nur Tipps. Ratschläge vom Profi. Verklausuliert, allgemein, passend für viele, aber längst nicht für alle Fälle.
Wie findet man als Leser oder Leserin also heraus, ob der Schreibtipp gerade passt? Hierzu ein paar Fragen, die man sich selbst stellen sollte.
- Passt der Schreibtipp zum Problem?
- Ist es wirklich ein Problem?
- Löst der Tipp das Problem?
- Klingt der Text noch echt?
Passt der Schreibtipp zum Problem?
Welche Schwäche soll der Schreibtipp korrigieren? Ist es ein Tipp, der den Stil verbessert oder die Botschaft für eine bestimmte Zielgruppe deutlicher macht? Soll der Text besser lesbar sein oder geht es darum, eine anspruchsvolle Leserschaft zu beeindrucken? Geht es in dem Tipp um Lyrik oder einen Werbetext?
Also: Frag dich immer, ob die Lösung zum Problem passt.
Ein Beispiel: „Ein Satz, ein Gedanke.“ Super Tipp, aber im belletristischen Schreiben nicht angebracht. Hier darf es gerne wuseliger sein, um eine bestimmte Stimmung, ein Lesetempo, einen Kunstkniff zu erzeugen.
Ist es wirklich ein Problem?
Manche Schreibtipps beschäftigen sich mit einem bestimmten Problem, das je nach Texttyp und Zielgruppe existiert. Frag dich deshalb: Ist es für meine Zielgruppe und für den Anlass meines Textes wirklich ein Problem, das ich lösen muss?
Also: Frag dich immer, ob das Problem ein Problem ist.
Ein Beispiel: „Zu viele Adjektive überladen den Text.“ Super Tipp, wenn es beispielsweise um Sachlichkeit und Prägnanz geht. Geht es aber um Emotionen und Stimmungen, braucht es beschreibende Worte. Ja, „Show, don’t tell“ gilt auch hier, aber es ist schlicht unnatürlich, gänzlich ohne beschreibende Adjektive eine tragische Abschiedsszene, eine heiße Liebesnacht oder ein bahnbrechendes Produkt zu beschreiben.
Löst der Tipp das Problem?
Probier es aus. Wenn der Text nach der Änderung nicht angenehmer klingt, klarer wirkt oder besser strukturiert ist – zurück auf Start.
Also: Folge einen Schreibtipp nicht einfach, weil er sich super anhört.
Ein Beispiel:
Ich mag Ausrufezeichen. Ich bin ein impulsiver Mensch und deshalb fällt es mir unglaublich schwer, in Mails, in denen ich außer Rand und Band begeistert über etwas schreibe, nicht hinter jedem Satz ein Ausrufezeichen zu setzen. Gleichwohl verstehe ich, wenn man sparsam damit umgehen sollte. Jaha! Mach ich ja schon!
Klingt der Text noch echt?
Bei allen Texten, wo dick dein Name drüber oder drunter steht, ist natürlich wichtig, dass sie nach dir klingen. Authentisch, echt und natürlich. Der Leser oder die Leserin soll deine Stimme im Kopf haben, deinen Sprachduktus.
Also: Folge einem Schreibtipp nur, wenn du ihn dir dauerhaft angewöhnen willst/kannst.
Ein Beispiel: Füllwörter. Oft wird gesagt, dass sie überflüssig sind und weggestrichen werden können. Ja, oft ist das so. Aber nicht immer, denn sie geben (wenn sie nicht übermäßig auftauchen) einem Text Farbe, Persönlichkeit und Echtheit. Andere Schreibprofis sehen das anders, ich weiß.
Aber Vorsicht: Rede dich nicht mit „persönlichem Stil“ heraus, wenn dein Text schwer lesbar, unverständlich und schlecht strukturiert ist. Dafür gibt es kein Pardon.
In diesem Sinne: Hol dir das Beste für dich raus aus den #365schreibtipps!
#365schreibtipps #cleverschreiben