Lassen wir Nessa Altura selbst erzählen:
Ich bin in Franken geboren, war aber zum Studium (Germanistik, Anglistik und Geografie) schon in Baden-Württemberg, wo ich heute lebe. Nach etlichen Jahren als Gymnasiallehrerin in Hamberg und Köln habe ich in Böblingen eine Familie mit zwei lang ersehnten Kindern gegründet und mich schließlich aus dem Schuldienst verabschiedet. Seither schreibe ich – zunächst für Verlage und seit einiger Zeit nur noch für mich selbst, für meinen Autorenexpress. Natürlich gibt es daneben noch eine Reihe anderer Verpflichtungen, so ehrenamtliche Arbeit oder die Miet-Verwaltung eines Musiktheaters in Nürnberg.
Mein Briefversandhaus Autorenexpress besteht aus 3 Personen; ich kümmere mich um Inhalte, Konzeption und das tatsächliche Erstellen der Post-Lieferungen. Die Kür besteht aus meinem Blog, in dem ich fast täglich etwas poste. Und daneben gibt es noch Broschüren, Twitter und Pinterest, und gelegentlich Newsletter – alles Im Grunde Kanäle, auf denen ich meinen Autorenexpress bewerbe. Weil dieses Briefversandhaus etwas Neues ist, bedarf es immer viel Erklärung – das habe ich anfangs unterschätzt. Inzwischen lebe ich aber auch von Empfehlungen.
Im Interview mit „Schreiben als Beruf“ spricht sie über das Thema „spitze Nische“.
Mindestens 848,1 Millliarden Mails werden jedes Jahr durch deutsche Datenleitungen geschickt – sagt Statista für 2018. Die Zahl der Briefe dagegen im gleichen Zeitraum: Rund 17 Milliarden.
Und zwischen diesen 17 Milliarden Rechnungen, Werbesendungen und wenigen persönlichen Briefen stecken seit mehr als zehn Jahren die Umschläge und Postkarten des Autorenexpress.
Erkläre doch bitte in zwei Sätzen, was sich dahinter verbirgt.
Der Autorenexpress ist ein Briefversandhaus, das literaturaffinen Menschen dabei hilft, ein individuelles und originelles Geschenk zu machen. Das können Storys, Gedichte und Ratgebertexte in Briefen und auf Postkarten sein, oder aber auch ein historischer Briefroman aus Sankt Petersburg oder kleine Büchlein zur Saison. Die Angebote sind meistens seriell – ein halbes bis ein Jahr, jeden Monat, jede Woche, jede Saison, etc. Im Augenblick arbeite ich, weil ich in letzter Zeit mehrfach danach gefragt wurde, an Geburtstagsbriefen. Die sind dann einmalig zum Stichtag.
Auf deiner Webseite schreibst du, wie du zu dieser Idee kamst. Du warst auf einer monatelangen Reise auf dem Jacobsweg und hast jeden Tag, den du dich Richtung Santiago de Compostela bewegtest, einen schriftlichen Gruß zu deiner Mutter in die Heimat geschickt. Zurück zu Hause hast du das erste Briefversandhaus – den Autorenexpress – gegründet. Was hat sich seitdem getan?
Anfangs habe ich herumexperimentiert. Inzwischen bleibe ich stabil. Ich entwickle immer neue Produkte und nehme alte heraus, die sich nicht so gut verkaufen lassen. So habe ich zum Beispiel die Cartolinchen erfunden, die ursprünglich die Trauer von Großeltern kommunizieren sollten, die in Coronazeiten ihre Enkelchen trösten wollten. Stichwort: Ich wär so froh, könnt ich mit dir jetzt in den Zoo.
Du schreibst auf deiner Webseite: „Briefe und Postkarten sind Botschaften. Sind Zeichen dafür, dass man nicht vergessen wird. Briefe und Postkarten erhellen den Tag, machen den Gang zum Briefkasten zu einem erwartungsvollen Erlebnis.“ Mit E-Mails ist das anders, oder?
Natürlich haben eMails die gleiche Funktion, aber sie sind eben weniger haptisch, weniger gut aufhebbar, weniger gut herzeigbar, weniger variantenreich – und viel weniger sinnlich. Man darf nicht vergessen, dass viele, vor allem natürlich ältere Leute, mit dem Internet nicht so vertraut sind. Der Autorenexpress schafft da eine Brücke, indem der Käufer*in, Besteller*in oder Absender*in online agieren kann – mit ein paar Klicks auswählen, bestellen und bezahlen – und der oder die Empfänger*in etwas im Real Life erhält. Auf eine Art und Weise, die er oder sie gewohnt sind: durch die Post. Das Schwätzchen mit dem Postboten kommt dann noch oben drauf… wenn man mag. Im Grunde geht es ja immer um Kommunikation. Auch Briefe und Postkarten schaffen – wie eMails natürlich ebenfalls – Kommunikationsanlässe. Man muss sich bedanken, besprechen, dazu telefonieren, usw.
Wird es den Autorenexpress eines Tages digital geben?
Zur Hälfte ist er es ja bereits. Nein, ich denke das wird so halb-halb bleiben. Eine Brücke eben, die online und offline verbindet! Denn das fehlt sehr, finde ich.
Was sind das für Menschen, die deine Briefe für sich bestellen oder verschenken? Bekommst du das mit?
Es sind erwachsene Söhne und Töchter, die für ihre Eltern, Tanten, Cousinen, Schwestern, Freunde und Freundinnen bestellen. Meist Frauen, aber es gibt auch eine ganze Reihe Männer. Und jeder oder jede Dritte bestellt für sich selbst. Als Belohnung oder Entschädigung für eine arbeitsreiches, aber vielleicht etwas ereignisloses Leben. Mein Motto heißt ja auch: Das Leben ist schön. Und Fantasie macht es farbig.
Du bist erfolgreiche Autorin*, hast renommierte Preise für deine Kurzgeschichten gewonnen und die Liste der Anthologien scrollt, die unter deiner Mitwirkung entstanden, ist lang. Wie viel Zeit nimmt das Schreiben in deinem Alltag in Anspruch – und welche Rolle spielt dein Name dabei?
Ich schreibe jetzt eigentlich nur noch für meinen Autorenexpress und nicht mehr für Verlage. Hin und wieder eine Kurzgeschichte oder ein Memoir, wenn mir danach ist. Im Autorenexpress kann ich einfach viel mehr experimentieren… Zum Beispiel hatte ich seit Jahren ein Plot für eine erotische Novelle im Kopf, aber ich konnte mir nicht recht vorstellen, wo (bei welchem Verlag oder in welchem Magazin) sie zu platzieren wäre und welche Form sie genau haben sollte. Und dann, plötzlich letzten Januar auf dem Skihang kam mir die Idee: Ein Schweizer Weekend im Winter, eine Antwort auf Me-Too, eine Erzählung in Form von acht Briefen von einer, die das alles erlebt hat, an ihre Freundin: Die Blauen Briefe. Topp, das passte. Und dann habe ich es geschrieben und 7 Probeleserinnen und 1 Probeleser haben es getestet. Und jetzt kann man es für 50 € bestellen. Und ein Exemplar davon kannst du gerne unter deinen Blog-LeserInnen verlosen, wenn du magst.
Briefe und Kurzgeschichten – woher kommt deine Liebe für diese Formate? Was fasziniert dich daran seit mehr als 20 Jahren?
Ich liebe einfach die kurze konzise Form. Ich bin selbst ein sehr ungeduldiger Mensch und bei langen Texten – ich habe es probiert! – komme ich automatisch und ungewollt in einen Plauderstil, den ich selber nicht gerne lese.
Was möchtest du allen, die davon träumen, Vollzeit-Autor:in zu sein, mitgeben?
Im Augenblick lese ich eine Biografie über Theodor Fontane. Wie der Textversatzstücke (Szenen, Sonnenuntergänge, Menschenbeschreibungen, Blüten – so stelle ich es mir jedenfalls vor) in seinen Apothekerschubladen gesammelt hat, um nach Belieben Romane daraus zu basteln, das finde ich clever. Würde ich davon leben wollen und am Anfang stehen, würde ich versuchen, auf diese Weise effizient zu sein. Denn der Stundelohn beim Schreiben ist so ja unirdisch niedrig… dass man das gar nicht ausrechnen darf, wenn man nicht die Lust daran verlieren will. Frei nach dem Motto: Work smart not hard.
Und was auch noch wichtig ist: Nicht aufgeben, stur weitermachen! Alles, alles dauert unglaublich lange, aber Konsistenz ist das Zauberwort – die Zahl derer, die Bedenken haben, ist riesig und die Zahl derer, die lange zögern, bis sie etwas ausprobieren, ist auch größer als man immer annimmt.
Vielen Dank für deine Antworten!
Das Interview führte Barbara Stromberg, www.textorama.de
59 Gründe, um Postkarten zu verschicken. Und zwar sofort! Heute. Oder an jedem anderen Tag...
- Sie haben gerade an ihren eigenen Geburtstag gedacht, als Sie selbst eine nette Karte bekommen haben
- Sie denken, der Empfänger hat heute/gestern/morgen Geburtstag
- Sie wissen nicht, wann der Empfänger Geburtstag hat und fragen ihn einfach danach
- Es ist Frühlings-, Sommer-, Herbst- oder Winteranfang und das beschwingt Sie
- Es ist Advent und da denkt man eben an Freunde
- Sie haben eben einen guten Vorsatz gefasst und sind voller Tatendrang
- Sie sind im Urlaub und haben Mitleid mit dem oder der Zuhausegebliebenen
- Es ist Fasching, Karneval oder Fasnet und da darf man sowieso alles
- Der Empfänger hat Namenstag oder (siehe 1 und 3)
- Es ist Neujahr und da kann man immer gute Wünsche schicken
- Sie sind verliebt und möchten das kundtun
- Vor zig Jahren haben Sie an eben diesem Tag Abi gemacht und das erinnert Sie an Ihre SchulkameradIn
- Heute ist Muttertag und da bekommt jeder einen Gruß, der Mutter sein könnte oder ist
- Heute ist Vatertag und da bekommt jeder einen Gruß, der Vater sein könnte oder ist
- Heute ist Valentinstag oder heute vor 1,2,3, etc. Monaten war Valentinstag und Sie haben das vergessen
- Demnächst ist Ostern und da verschickt man schnell ein rechteckiges Ei anstelle eines runden
- Sie bedanken sich für ein Geschenk, Gruß, Brief, den oder das Sie kürzlich erhalten haben
- Sie schreiben, warum Sie einen Krankenbesuch vorhatten, aber doch nicht machen konnten
- Sie schicken eine Postkarte anstelle von Blumen
- Sie sagen, Sie hätten heute an den Empfänger denken müssen, weil …
- Sie haben heute Hochzeitstag und deshalb überbringen Sie Glückwünsche zu einer anderen guten Ehe
- Sie haben heute endlich einmal so richtig Glück gehabt und wünschen das dem Empfänger auch
- Sie haben im Lotto gewonnen und möchten die Nachricht mit ihm oder ihr teilen
- Heute ist ein ganz gewisser Jahrestag ist, den nur Sie beide kennen…
- Ihr Urlaub ist heute zu Ende gegangen und Sie freuen sich auf ein Wiedersehen zuhause
- Sie haben ein Buch gelesen, dass Sie stark an den Empfänger erinnert hat
- Sie haben etwas anderes konsumiert, dass Sie stark an den Empfänger erinnert hat (siehe 27)
- Sie haben eine Stimme gehört, die der des Empfängers so ähnlich war, dass Sie an ihn denken mussten…
- Sie haben eine sentimentale Anwandlung: Weißt du noch, wie…
- Es ist der 3. Oktober und da schicken Sie immer jemand Deutschem eine Karte
- oder gerade keinem Deutschen (siehe 31)
- Ihre Gesundheit lässt zu wünschen übrig und da denken Sie an seine oder ihre
- Sie haben einen tollen Film gesehen, den Sie dem Empfänger ans Herz legen wollen (siehe 28)
- Weihnachten steht vor der Tür und da werden Sie mildtätig
- Heute ist der 8. März und da ist Weltfrauentag
- Sie sind befördert worden und finden, das sollte man wissen
- Sie sind umgezogen oder werden es demnächst tun
- Sie haben geheiratet, ein Kind bekommen oder sich scheiden lassen
- Sie haben so viele witzige Gratispostkarten daheim, die weg müssen
- Es regnet und da braucht jeder Mensch eine Aufheiterung
- Sie haben soeben ein Ehrenamt übernommen und möchten andere auch dazu animieren
- Sie haben einfach eine tolle Postkarte gekauft, die jetzt um Versendung bettelt
- Sie wollen Ihr neues Schreibgerät ausprobieren
- Sie haben so eine schöne Handschrift
- Sie haben jetzt in diesem Augenblick starke Sehnsucht nach dem Empfänger oder der Empfängerin
- Sie wollen selbst endlich eine Postkarte bekommen und wollen das durch die Blume mitteilen
- Sie kreieren selbst eine künstlerische Postkarte und schicken sie an jemand Nettes
- Sie überkleben eine Werbepostkarte mit Ihrem Foto und schicken sie an die unbekannte Firma
- Sie schreiben sich selbst eine Karte und stecken sie anderswo in den Briefkasten
- Sie schreiben eine Karte an einen Katalogversender und verbitten sich weitere Katalogzusendungen
- Sie brauchen dringend Urlaub und sagen das Ihrem Chef aus diese charmante Weise
- Sie sagen ein Fest ab, weil Sie keine Lust/keine Zeit/nichts anzuziehen haben
- Sie laden zu einem Fest ein und bitten um Antwort, damit Sie planen können (U.A.w.g.)
- Sie dichten ein kleines Gedicht und schicken es an irgendjemanden aus dem Telefonbuch
- Ihr Kind kann jetzt endlich lesen und soll es gleich üben
- Sie halten ein uraltes Versprechen ein (Ich schreibe dir, ganz bestimmt…)
- Sie schreiben Postkarten, weil Picasso auch welche geschrieben hat, die heute ein Vermögen wert sind
- Sie hassen Postkarten und schicken eine weg auf der nur das Wort NEIN steht
- Sie schicken Ihrem Freund eine peinliche Karte, weil auf seinem Schreibtisch alles so ordentlich ist
von: Nessa Altura, Autorenexpress
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