Tobias Reitz gehört zu den erfolgreichsten deutschen Liedtextern. Seine Leidenschaft für das Schreiben von Songtexten entdeckte er während seiner Studienzeit in Düsseldorf (Germanistik und Medienwissenschaften). Er bewarb sich an der Celler Schule für Textdichter* – die er mittlerweile gemeinsam mit Edith Jeske leitet. Sein Metier ist der Schlager. Die Interpreten seiner Texte sind das Who-is-who der Szene. Ja, auch Helene Fischer.
„Schreiben als Beruf“ hat ihn zum Thema Kreativität befragt.
Mehr als 600 Titel mit deinen Texten sind bisher veröffentlicht worden, die meisten aus der Sparte Schlager und Volksmusik. Wie schaffst du es, dass dir trotzdem noch immer was einfällt zum Thema Liebe und Verlust, Heimat und Fernweh?
Indem ich sie mit einem anderen, meinem wichtigsten Thema kombiniere: Sehnsucht. Sehnsucht bedeutet Wünsche zu haben, und die zu verstehen und hörbar zu machen – ob nun zum Thema Liebe, Sex, Freundschaft, Frieden oder auch Heimat – ist meine Aufgabe. Wenn ich das gut hinkriege, können meine Lieder das artikulieren, was man im wahren Leben zwar erspüren, aber nicht aussprechen kann.
Und eine ganz praktische Antwort auf die Frage: Ich schaue mir Menschen an. Ich schaue in ihre Gesichter oder frage mich, wenn ich durch die Stadt gehe: Was ist seine/ihre Geschichte, ihr Geheimnis, ihre Sehnsucht? Wovon träumt die Kassiererin? Was verbirgt sich in Wirklichkeit hinter der oberflächlichen Erzählung meiner Party-Bekanntschaft? Und warum reagiert jemand auf ein bestimmtes Thema so besonders? Das finde ich spannend.
Wie läuft dein persönlicher Kreativprozess ab? Was tust du, um dich von 9 bis 17 Uhr in Texterstimmung zu bringen?
20% meines Jobs sind Kreativität, 80% Kommunikation. Ich starte gegen 10 Uhr mit meinem Bürokram, schreibe mich warm und texte meistens zwischen 11 und 13 Uhr und dann am späten Nachmittag noch mal. In der restlichen Zeit laufen Akquise, Korrespondenz, Korrektur, Vertragsprüfung und was sonst noch so ansteht. Und wenn wir uns zu Songwriter-Camps treffen, gibt’s natürlich sowieso einen ganz anderen Plan.
Deine Ideen für Wortspiele, Themen und Pointen nehmen sicherlich keine Rücksicht darauf, ob du gerade auf der Autobahn fährst oder in der Umkleidekabine stehst. Wie sorgst du dafür, dass du sie nicht vergisst?
Die Diktierfunktion auf dem Smartphone ist eine große Hilfe. Oder ich schick mir selbst schnell eine Nachricht mit einer Zeile oder schreibe sie irgendwo auf. Seit ich viel schreibe, merke ich aber, dass die Kreativität sich besser steuern lässt als früher gedacht. Seit das Schreiben seinen festen Platz in meinem Tag hat, lässt mich der kreative Drang in den Ruhephasen durchaus in Ruhe. Er kriegt ja seine Zeit – dafür sorge ich schon.
Aus deiner Erfahrung als Organisator, Dozent und Coach in der Celler Schule, der Ausbildungsstätte für Textdichter, an der du auch gelernt hast: Kann jeder Texten lernen? Geht es ohne Handwerk, aber mit viel Talent – oder umgekehrt?
Meine Kollegin, Dozentin und Lebensfreundin Edith Jeske hat dazu einen guten Vergleich gebracht: Wenn einer kein Gefühl für gutes Essen hat, wird er nicht zum Spitzenkoch. Du kannst ihm aber beibringen, eine ordentliche Suppe und ein paar andere Basics hinzukriegen.
Übertragen heißt das: Ich kann jedem mit etwas Geduld beibringen, wie man irgendwas textet. Aber beim Coaching ist nichts frustrierender als wenn jemand eigentlich keinen Instinkt hat…
Was können Unternehmer, die an den Texten für Mailings, Pressemitteilungen und ihrer Webseite sitzen, von den Textdichtern lernen?
Dass die Sprache immer auch Melodie ist.
Und viel wichtiger:
Dass die Muse (in uns) ihre Zeit braucht. Wenn die dran ist, hat der Redakteur (in uns) den Rand zu halten. Er kriegt später seine eigene Zeit.
Viele Grüße an die Muse und den Redakteur – mögen Sie lange eine glückliche Fernbeziehung führen! Vielen Dank für das Interview!
* Tobias Reitz hat gemeinsam mit Edith Jeske das „Handbuch für Songtexter: Mehr Erfolg durch professionelles Schreiben und Vermarkten“ geschrieben. Schaut gerne hier bei Amazon (Promo-Link)!
Das Interview führte Barbara Stromberg // „Schreiben als Beruf“ (die lustigerweise mit Tobias auf der gleichen Schule im tiefen Hessen war und das zufällig beim Power-Point-Karaoke in Düsseldorf feststellte).