Henrike Doerr ist Lektorin, Texterin und gibt Workshops.
Für die Interviewreihe „Die KI und ich – Wie die KI meine Arbeit verändert hat“ hat sie einiges zu sagen – kein Wunder bei dieser Bandbreite.
Ihr Rat:
Wer bei KI mitmischen will, sollte sich auf einen Marathon vorbereiten, nicht auf die Kurzstrecke.
INHALT:

Einstieg & Überblick
Kannst du uns kurz deinen beruflichen Hintergrund und deine Spezialisierung erläutern?
Ich habe drei Standbeine: Ich bin Lektorin, Texterin für Unternehmenskommunikation und ich gebe Workshops rund ums Texten.
Wann und wie bist du zum ersten Mal mit KI-basierten Schreibwerkzeugen in Berührung gekommen?
Das muss kurz nach dem Launch von ChatGPT 2022 gewesen sein. Ich wollte sofort wissen, was es damit auf sich hat, und habe damit rumgespielt. Schnell wurde klar, dass textgenerierte KI wesentlichen Einfluss auf Schreibprozesse haben wird. So habe ich mich intensiv mit KI auseinandergesetzt. Ich wollte wissen: Was kann diese Technologie? Wo liegen ihre Grenzen? Was ist der Nutzen und wo liegen die Probleme oder gar Gefahren? Das sind Fragen, die man sich im Hinblick auf KI immer wieder neu stellen muss, weil sie sich kontinuierlich weiterentwickelt.
Welche KI-Tools oder -Anwendungen nutzt du derzeit am häufigsten in deinem Arbeitsalltag?
Das sind definitiv textgenerative KIs, allen voran ChatGPT, aber auch Claude. Ich nutze auch Perplexity des Öfteren.
Positive Auswirkungen
In welchen Bereichen hat KI deine Arbeitseffizienz gesteigert? Kannst du konkrete Beispiele nennen?
Mein erster Impuls war zu sagen: in keinem. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass Texterinnen mit KI wahnsinnig viel Zeit sparen. Jedenfalls dann nicht, wenn die Qualität sehr gut sein soll, was ich natürlich möchte. Trotzdem spare ich mit KI Zeit. Nur eben nicht beim Schreiben. Dafür aber bei Tätigkeiten, die rund ums Schreiben anfallen. Bei der Ideenfindung zum Beispiel oder wenn ich darüber nachdenke, welche Anliegen eine Zielgruppe im Hinblick auf ein bestimmtes Thema hat. Da ist KI schon hilfreich und vor allem schnell.
Hat KI dir geholfen, neue kreative Ansätze zu entwickeln oder „Schreibblockaden“ zu überwinden? Wenn ja, wie?
Künstliche Intelligenz ist ein prima Sparringspartner. Wenn ich nicht weiterkomme, lasse ich mich ein wenig von der KI inspirieren. Ich bekomme ja immer eine Antwort.
Häufig ist die Antwort nicht gut. Aber Brainstorming funktioniert ja am besten, wenn man nicht zensiert. So habe ich die Freiheit, alle Ideen erst einmal gelten zu lassen und neue Ideen hervorzubringen. KI nimmt mir den Prozess des kreativen Denkens also nicht ab, sondern ist wie ein Gegenüber, mit dem ich mir die Bälle hin- und herwerfe.
Und ein weiterer Vorteil: Die Angst vorm weißen Blatt ist überflüssig geworden. Ich kann etwas hinschreiben lassen. Ich überarbeite das gar nicht, weil ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden bin. Ich habe aber den ersten Stups erhalten und kann loslegen.
Gibt es bestimmte Aufgaben, die du dank KI nun schneller erledigen kannst und durch die du mehr Zeit für andere Aspekte deiner Arbeit hast?
Ich lasse mir von der KI gern dabei helfen, Ideen für bestimmte Themen zu finden. In meinem Blog beispielsweise habe ich verschiedene Rubriken, die ich regelmäßig bespiele. Eine Reihe, die es dort gerade gibt, sind Redewendungen im Deutschen. Von der KI habe ich mir eine Liste mit Redewendungen ausspucken lassen. Viele davon waren unbrauchbar, aber einige konnte ich auch benutzen. So hatte ich eine Liste mit Vorschlägen, über welche Redewendungen ich schreiben werde. Das Ganze hat nicht mal zwei Minuten gedauert. Hätte ich selbst nachgedacht, hätte das definitiv länger gedauert. Schreiben muss ich die Beiträge allerdings nun noch selbst.
Hat die Nutzung von KI-Tools zu einer Erweiterung deines Angebots oder deiner Dienstleistungen geführt?
Ich gebe nun auch Workshops zur Nutzung von KI im Lektorat und beim Texten. Der Aufklärungsbedarf ist groß. Die meisten Menschen erwarten, dass alles nun viel schneller gehen muss. Warum das nicht der Fall ist und wie KI dennoch eine Bereicherung sein kann, darum geht es in meinen Workshops.
Herausforderungen & negative Aspekte
Welche Herausforderungen oder Schwierigkeiten hast du bei der Integration von KI in deinen Workflow erlebt?
KI hat ja die mittlerweile recht bekannten Schwächen: Sie halluziniert, also erfindet Fakten, sie unterliegt einer Bias, also reproduziert Stereotype, um nur mal zwei sehr wesentliche Schwächen zu nennen.
Außerdem zeigt die KI Schwächen, wenn sie bestimmte Anforderungen durchhalten soll, eine Tonalität zum Beispiel oder einen bestimmten Stil. Rechnen kann sie auch nicht gut, das heißt, maßgeschneiderte Textlängen sind nicht verlässlich.
All diese Dinge begegnen mir natürlich auch bei der Arbeit. Das heißt: Wenn ich mir wirklich Entwürfe als Inspiration geben lasse, muss ich alles überprüfen. Und ich meine alles. Jede Aussage, jeden Fakt, die Stereotype, die Tonalität und so weiter.
Außerdem erkennt man KI-Texte immer noch ziemlich deutlich an der Schreibweise. Man kann KI zwar mittlerweile auf einen bestimmten Stil anlernen, aber auch das kostet wieder Zeit und Mühe. Eine echte Arbeitserleichterung ist das nicht.
Inwieweit hat sich deine Rolle durch den Einsatz von KI verändert? Siehst du die Gefahr einer Entwertung bestimmter Fähigkeiten?
Im Lektorat sehe ich bisher keine Gefahr. Die meisten Autorinnen und Autoren wünschen sich eine detaillierte Beurteilung und Überarbeitung ihrer Texte. Dafür braucht es immer noch Menschen.
Beim Texten sieht das anders aus. Die textgenerativen KIs wurden ja genau dafür entwickelt: fürs Texten. Da ist bei vielen Menschen schon die Erwartung, dass es Texter*innen nicht mehr braucht und stattdessen die KI etwas ausspuckt. Natürlich reicht die Qualität von KI-Texten lange nicht an die von guten Texter*innen heran. Aber offenbar merken das nicht alle Menschen sofort oder es ist ihnen – zumindest für den Moment – egal.
Meine Kund*innen halten mir bislang die Treue, dafür bin ich dankbar. Ich höre aber viele Stimmen aus der Branche, die über wegbrechende Kundschaft klagen. Ich bin Optimistin und habe die Hoffnung, dass alle da jetzt einmal durch müssen und den Versuchungen der billigen, schnellen KI erliegen müssen.
Qualität hat sich bisher immer durchgesetzt. Das wird auch in Zukunft so sein. Wir werden wohl parallele Märkte haben: KI-Texte für Massencontent, bei dem die Qualität zweitrangig ist, und menschengemachte Texte für passgenaue Zielgruppenansprache.
Wie stellst du sicher, dass die Qualität deiner Arbeit nicht unter dem Einsatz von KI leidet?
Wie ich oben beschrieben habe: Ich texte selbst und lasse mich höchstens inspirieren. Bei allen Ergebnissen von KI lasse ich außerdem höchste Vorsicht walten und überprüfe alles.
Ethische und zukünftige Überlegungen
Welche ethischen Fragen oder Bedenken siehst du im Zusammenhang mit der Nutzung von KI im Schreibbereich (z.B. Urheberrecht, Originalität, Transparenz)?
Es ist natürlich ein Problem, wenn Urheberrechte nicht gewahrt werden, wenn KI munter Texte von Menschen ausschlachtet. Das wird sich nicht von allein regulieren. Da brauchen wir klare gesetzliche Schranken und die damit verbundenen Sanktionen.
Wie gehst du mit dem Thema Transparenz gegenüber deinen Kunden um, wenn du KI-Tools in deinem Schreibprozess einsetzt?
Ich trage das MI-Siegel und habe das sichtbar auf meiner Website und meiner Signatur platziert. Das MI-Siegel ist eine freiwillige Selbstverpflichtung von Lektor*innen, Texter*innen und anderen, transparent im Umgang mit KI zu sein und sehr verantwortungsvoll. Der genaue Wortlaut der Selbstverpflichtung lässt sich hier nachlesen: https://www.mi-siegel.de/kodex.
Bei mir bedeutet das konkret: Ich nutze KI nicht, um Texte zu schreiben oder zu lektorieren. Ich pflege auch keine sensiblen Daten in die KI-Tools ein.
Welche Kompetenzen oder Fähigkeiten werden deiner Meinung nach in Zukunft für deinen Berufsstand besonders wichtig sein, um sich im Zeitalter der KI zu behaupten?
Gute Texter*innen brauchen auch in Zukunft, was sie jetzt schon brauchen: Einfühlungsvermögen, Stilempfinden, Kreativität und so weiter. Dazu sollten sie aber vermutlich mit der KI umgehen können, um sich dauerhaft am Markt behaupten zu können. Dazu gehört, die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Gefahren der KI zu kennen, aber auch sehr gutes Prompting zu beherrschen.
Es genügt nicht, einfach irgendwas einzugeben, denn dann bekomme ich auch nur irgendwas raus. Da gibt es schon Techniken, die man lernen kann. Das wird einen Unterschied machen.
Wie schätzt du die langfristigen Auswirkungen von KI auf die Schreibbranche ein? Wird KI bestimmte Berufe ersetzen oder eher ergänzen?
Wald-und-Wiesen-Texter*innen werden vermutlich überflüssig und durch Prompt Engineers ersetzt. Spezialisierte Texter*innen, sowohl fachlich als auch im Hinblick auf einen bestimmten Stil oder eine Textsorte, werden nach wie vor gebraucht werden. Da bin ich sicher.
Welchen Rat würdest du anderen deiner Branche geben, die sich mit dem Thema KI auseinandersetzen möchten?
Keine Angst vor KI haben, sondern sich damit auseinandersetzen. Und sich darauf einstellen, dass das ein Dauerthema wird. Wer bei KI mitmischen will, sollte sich auf einen Marathon vorbereiten, nicht auf die Kurzstrecke.