Shitty first draft – die Rohtext-Strategie
Die Rohtext-Strategie wenden viele professionelle Schreibenden an. Eine Methode, die Sie ausprobieren können, wenn Sie unter Schreibhemmungen leiden. Diese tauchen gerne auf, wenn ein neues Schreibprojekt ansteht. Perfektionismus oder fehlendes Selbstvertrauen können zum Beispiel dahinterstecken.
Einfach drauf losstarten und einen beschissenen ersten Entwurf zu schreiben, kann helfen. Ich weiß, das sagt sich leicht, aber es funktioniert! Was steckt dahinter? Gute Texte entstehen selten im ersten Wurf. Sie brauchen Zeit und mehrere Überarbeitungsschritte. Je flüssiger sich ein Text liest, desto wahrscheinlicher ist, dass jemand viel Hirnschmalz (österr. für viele Gedanken) und Zeit investiert hat.
Wie geht die Rohtext-Strategie?
Ich sage mir beim Start eines Schreibprojekts: „Ilona, du musst nicht gleich den Pulitzerpreis mit diesem ersten Entwurf gewinnen. Schreib einfach etwas hin, du kannst es später überarbeiten.“
Folgende Regeln des Freewritings, einer Creative-Writing-Methode, befolge ich:
- Recherchieren, Ideen und erste Gliederung notieren.
- Wecker auf 20 Minuten einstellen. Hinweis: Probieren Sie auch andere Zeit-Einheiten aus. Je nach Übung, Textsorte und Thema kann das variieren.
- Jetzt einfach losschreiben.
- Nichts durchlesen.
- Vergessen Sie Rechtschreibung oder Grammatik, einfach weiterschreiben.
- Ich habe im Hinterkopf: Niemand liest meinen „shitty first draft“ und kann mich dafür verurteilen oder auslachen. Ich werde es überarbeiten.
- Nach Ablauf der Zeit den Text beenden. Durchlesen und die stärksten Stellen anstreichen.
– Jetzt kommt ein wichtiger Punkt –
- Text weglegen, abspeichern und vom Schreibplatz aufstehen.
- So distanzieren Sie sich vom ersten Entwurf.
- Je nach Zeitvorgabe oder drohendem Abgabetermin den Text liegen lassen. Gerne einen ganzen Tag, es reichen aber auch zehn Minuten für einen Kaffee oder ein Telefonat, wenn es schnell gehen muss. Noch besser: ein kleiner Spaziergang.
- Überarbeiten. Liegen lassen. Überarbeiten. Liegen lassen. Überarbeiten. Abschließen.
Tipp: Je mehr Zeit zwischen dem Rohtext und dem Überarbeiten liegt, desto besser. Warum? Ihr sensibles Schreibherz ist dann nicht mehr so verwundbar. Überarbeitungsschleifen ziehe ich ein, bis ich zufrieden bin beziehungsweise bis ich den Text abgeben kann oder muss.
Probieren Sie es aus: Schreiben Sie einen ersten Entwurf ohne Anspruch auf Perfektion. Wenn Sie sich das erlauben, haben Sie gewonnen: Sie haben Rohtext produziert, mit dem Sie weiterarbeiten können bis zu einer für Sie zufriedenstellenden Endfassung.
PS: Nicht alle Rohtexte sind schlecht! Ihr erster Entwurf kann auch gut werden und nur mehr einen zarten Feinschliff brauchen. Das bemerken Sie beim Überarbeiten. Wenn Sie jemanden an der Hand haben, der Ihnen konstruktives Feedback gibt, noch besser.
#365schreibtipps #effektiverschreiben